Taxi,Tee und Taxitänzer

Leseprobe

… „Willst du wirklich all diese Dias mitnehmen?“, rief Babette beim Anblick der unzähligen Diaboxen.

„Soll ich sie etwa hierlassen?“

„Aber, Tante Frieda, du wirst einfach keinen Platz dafür haben.“ Babette nagte an ihrer Unterlippe. „Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, die irgendwie zu archivieren. Wir fragen Horst.“ Sie kramte in der Handtasche nach ihrem Handy und verzog sich damit ins angrenzende Esszimmer.

 

Frieda schnitt eine Grimasse. Sie konnte Babettes Glauben an die Allwissenheit und Unfehlbarkeit dieses Mannes leider nicht teilen.

Während Babette telefonierte, nahm sie sich die Fotoalben vor. Es stimmte ja, sie konnte nicht alles mitnehmen, aber sie wollte sich von den vielen Erinnerungen einfach nicht trennen. Wenn sie schon ihr Haus verlassen musste, wollte sie wenigstens die Dinge bei sich haben, die ihr wichtig waren. Andererseits hatte ihr zukünftiges Appartement kaum sechzig Quadratmeter, die Loggia schon dazugerechnet.

Babette tanzte ins Zimmer: „Tante Frieda, Horst hat die Lösung!“

„Dacht’ ich’s mir doch.“

„Horst sagt, man kann diese alten Dias auf eine CD brennen – oder so ähnlich. Jedenfalls hast du dann statt all dieser Schachteln hier nur noch ein, zwei CDs. Er organisiert das.“

Frieda hatte wenig Zutrauen zu Horsts Versprechungen. Auf das neue E-Mail-Programm, das er ihr installieren wollte, wartete sie schon seit Monaten  Dem entsprechend skeptisch erwiderte sie: „Von mir aus, aber sag ihm, er soll sich beeilen, ich bin keine zwanzig mehr.“

„Tantchen, wann wirst du endlich deine Vorbehalte gegen Horst aufgeben?“

„Wenn ich Grund dazu habe“, entgegnete Frieda, „und sag nicht immer Tantchen zu mir, ich bin alt, aber nicht dämlich.“ Damit wandte sie sich wieder den Fotoalben zu. Babette trat hinter sie und warf einen Blick auf die Fotos: „Aber diese alten Baustellenfotos wirst du doch hoffentlich nicht auch noch mitnehmen wollen?“

„Das verstehst du nicht, das sind nicht irgendwelche Baustellenfotos, das sind die Fotos vom Bau der Schule hier in Niederholzen.“

„Na wenn schon, sie sind vermutlich dreißig Jahre alt.“

„Vierzig. Aber der Bau der Schule, das war mein Durchbruch, damit habe ich es geschafft, erstmals ohne Vater, etwas Größeres als ein Einfamilienhaus zu bauen. Zuvor haben ja doch alle geglaubt, ich bin zu dämlich seine Firma weiter zu führen. Nur weil ich eine Frau war. Aber nach dem Bau der Schule haben sie mich endlich anerkannt, die Herren Baumeister, Bürgermeister und Zimmermeister.“

Babette seufzte: „Ich wusste gar nicht, dass das so wichtig für dich war.“

„Klar war das wichtig für mich. Du willst ja auch, dass deine Bücher gelesen werden.“

„Schon, aber das ist doch etwas ganz anderes. Mir geht es dabei nicht um Ruhm oder finanziellen Erfolg, mir geht es darum, dass sich die Kinder an meinen Büchern freuen und Spaß haben.“

„Meine Kunden haben sich auch gefreut, wenn sie in ein solides Haus einziehen konnten. Wo, bitte sehr,  ist da der Unterschied? Außerdem ist es ja kein Fehler etwas zu leisten und darauf stolz zu sein.“

Solche und ähnliche Diskussionen hatten sie schon öfter geführt. Wenn Babette an einem neuen Projekt dran war, konnte zwar wie eine Besessene arbeiten, aber das Wort Leistung klang ihr allzu sehr nach Zwang. Doch diesmal sagte sie nur: „Vielleicht hast du recht. Jedenfalls habe ich jetzt Hunger. Soll ich uns eine Pizza holen?“

„Nicht notwendig, Frau Fischer hat uns etwas Anständiges gekocht. Wo ist sie eigentlich?“

Wie aufs Stichwort steckte Friedas Haushaltshilfe den Kopf durch die Tür: „Ich hab Rindfleisch gekocht und Kürbisgemüse. Kann ich hier decken?“

„Kaum, wir kommen zu Ihnen in die Küche.“ Frieda stemmte sich aus dem Sessel. Verdammt, je länger sie saß, umso mühevoller war das Aufstehen; aber nach der Operation sollte das ja Geschichte sein. Hoffentlich hatte Doktor Weiß damit auch recht.

Während des Mittagessens unterhielt Frau Fischer sie mit ein paar Schnurren ihrer Enkel.

Sie konnte stundenlang über ihre Enkelkinder reden und wenn Babette zu Gast war, hatte sie wenigstens einen interessierten Zuhörer.

„Das hat er wirklich gesagt?“, rief Babette eben aus. „Das muss ich mir sofort notieren.

Wetten, wenn ich das in meinem nächsten Buch verwende, sagt meine Lektorin wieder, ich soll den Kindern nicht solche Sachen in den Mund legen, so etwas sagt kein Sechsjähriger.“

„Sie kennt eben meinen Enkel nicht!“, entgegnete Frau Fischer nicht ohne Stolz.

„Apropos Lektorin, wann kommt eigentlich dein nächstes Buch heraus?“ fragte Frieda.

„Angeblich im November, hoffentlich noch rechtzeitig fürs Weihnachtsgeschäft.“

„War es nicht für September geplant?“

„Schon, aber, na ja, jetzt wird es eben November.“ Babette schaute angelegentlich in ihr Kürbisgemüse.

Wie damals, als sie noch zur Schule ging, dachte Frieda einen Moment lang gerührt, ich wusste immer gleich, wenn sie etwas versemmelt hatte. Dann aber sagte sie in strengem Ton: „Hast du schon wieder deine Termine nicht eingehalten? Wann wirst du endlich lernen, dass man eingegangen Verpflichtungen nachkommen muss? Also, wenn ich damals so gearbeitet hätte…“

„Aber Tante Frieda“, unterbrach Babette schmeichelnd: „Schreiben ist etwas Kreatives, das kann man doch gar nicht vergleichen!“

„Papperlapapp! Arbeit ist Arbeit! Apropos, gehen wir wieder ans Einpacken!“