Bücher machen nicht nur Freu(n)de – Leseprobe

  1. Buch – (K)ein Herz für Buchhändler
  1. Jutta – Der ehrenwerte Herr Bürgermeister Stein

„Stein hat dich einfach fallen lassen?“

„Wie eine heiße Kartoffel“, antwortete Jutta und wandte ihr Gesicht der Sonne zu.  Es war ein angenehm milder Tag, der Marillenbaum stand in voller Blüte. Sie saßen auf der kleinen Terrasse ihres Elternhauses. Der Winter war lang und kalt gewesen, umso überraschender war es jetzt warm geworden.

„Das hatte ja kommen müssen“, murmelte Juttas Vater. „Kommt eben davon …“

„… wenn man sich mit seinem Chef einlässt“, beendete Jutta seinen Satz. War klar. Er hatte mit seiner Meinung über ihre Liaison mit dem Bürgermeister noch nie hinter dem Berg gehalten. Sie selbst fand diese Idee heute auch nicht mehr so prickelnd.

„Und jetzt? Du kannst doch wieder als Lehrkraft arbeiten?“, wollte ihre Mutter wissen.

Typisch, dachte Jutta. Hauptsache, ich kehre in mein sicheres Beamtendasein zurück. Alles andere schien ihre Mutter nicht zu interessieren. Dementsprechend lustlos entgegnete sie: „Ja, schon.“

Ihre Mutter sah sie forschend an. „Klingt nicht, als ob du das möchtest.“

„Vielleicht werde ich später wieder unterrichten, aber zuerst möchte ich ein Buch schreiben.“

„Du willst ein Buch schreiben?“ Ihr Vater schenkte sich Kaffee nach. „Komische Idee.“

„Ihr wisst doch, ich habe schon als Kind gerne gelesen, Geschichten erfunden und niedergeschrieben“, antwortete Jutta träge und blinzelte in die Sonne.

„Ich lese auch gerne, deshalb muss ich ja noch lange kein Buch schreiben“, warf ihre Mutter dazwischen. „Worüber willst du denn schreiben?“

Es war ihrer Mutter anzuhören, dass sie es ihr nicht zutraute. Auch das war für Jutta nichts Neues. Sie kreuzte mit ihrer Mutter die Klingen, seit sie begonnen hatte, selbstständig zu denken. Ihre Mutter war Kindergärtnerin gewesen, und sie führte ihre Familie so, wie sie seinerzeit ihren Kindergarten geleitet hatte. Autoritär, aber mit den besten Absichten. Juttas Vater hatte sich nur selten dagegen aufgelehnt, Jutta hingegen ständig.

„Ich habe in den Jahren als Stadträtin einiges erlebt, das reicht für mehrere Romane.“

„Hab‘ ich nicht gleich gesagt, Politik ist ein schmutziges Geschäft? Du hättest besser die Finger davon gelassen“, moserte ihr Vater.

„Hast du“, erwiderte Jutta grinsend. “Aber es war nur die halbe Wahrheit. Politik ist nämlich auch ein ungemein spannendes Geschäft.“

 

Jutta aß den letzten Bissen Mohnkuchen und lehnte sich zurück. Langsam wurde ihr warm. Sie zog ihre Jacke aus und hängte sie sorgfältig über den leeren Stuhl. Ihr eleganter Hosenanzug passte nicht so richtig hierher, aber sie war direkt vom Rathaus gekommen. Ihre Eltern hatten ihr politisches Engagement ohnehin nie gutgeheißen, da sollten sie von ihrem Rauswurf nicht aus dem Radio erfahren.

Eine Weile blieb es still, dann spürte Jutta ihr Handy vibrieren. Albert Stein. Ihr erster Impuls war, das Gespräch einfach wegzudrücken. Doch das wäre keine besonders erwachsene Reaktion gewesen. Also nahm sie es an und fragte kurz angebunden: „Was willst du?“

„Wo bist du denn?“

„Bei meinen Eltern.“

„Kann ich später bei dir vorbeikommen?“

„Bloß nicht.“

„Ich muss dir doch erklären, was da heute Morgen gelaufen ist.“

Jutta stand auf und ging ein paar Schritte in den Garten, ehe sie ins Telefon zischte: „Das hättest du besser vorher getan. Jetzt ist alles gesagt.“

„Jutta, bitte, lass es mich dir erklären!“

„Du hast mich einfach fallen lassen. Was gibt es da zu erklären?“

„Das stimmt so nicht. Aber davon abgesehen, willst du denn gar nicht wissen, was da gelaufen ist?“

„Ich kann es mir zusammenreimen. Außerdem war dein geschätzter Stellvertreter, unser allseits unbeliebter Herr Vizebürgermeister, so nett, mich aufzuklären. Du warst ja leider nicht erreichbar – zumindest für mich.“ Der Zusatz musste sein. Sie kannte Albert Stein und hatte oft genug miterlebt, wie er unangenehme Gespräche einfach ignorierte.

Ihren Vorwurf ignorierte er ebenfalls. Typisch. Stattdessen fragte er: „Er hat dir erzählt, dass die Sozialisten uns vor die Wahl gestellt haben, dich auszutauschen oder die Sache mit den Reisekosten auffliegen zu lassen – und das sechs Monate vor der Landtagswahl?“

Um unkorrekt abgerechnete Reisekosten ging es also auch. Interessant. Laut sagte sie: „Von Reisekosten hat er nichts gesagt, nur von einer dringend notwendigen Einigung im Bildungsbereich. Die werdet ihr mit diesem neuen Hampelmann sicher erzielen. Ist dieser Niedermayer eigentlich je auf eine ordentliche Schule gegangen oder gleich vom Kindergarten in die Parteiakademie übergetreten?“

„Jedenfalls ist von ihm nicht zu erwarten, dass er die Partei vor eine Zerreißprobe stellt“, antwortete Albert hörbar eingeschnappt. Niedermayer war seine Entdeckung.

„Eine Zerreißprobe? Nur weil ich es ablehnte, die Gymnasien aufzugeben? Das ist doch lächerlich. Und nur zur Erinnerung: Die Bundespartei ist auch dagegen.“

„Schon, aber andere Länder sind dafür, und der linke Flügel unserer Partei ebenfalls. Es ging auch nicht nur um die Gymnasien.“

„Worum sonst noch?“

„Es geht auch … also es ging auch … um … unser beider … Vergangenheit.“

„Du meinst unser Verhältnis? Aber das haben wir doch schon vor mehr als einem Jahr beendet.“

„Ja, schon, aber unangenehm wäre so ein Outcome immer noch …“

Jutta lächelte unwillkürlich. Mit Fremdwörtern hatte er so sein Problem, der werte Herr Bürgermeister. „Du weißt ja selbst, unser lieber Vizebürgermeister ist nah am Ohr des Kanzlers – außerdem ist seine Frau mit meiner Frau befreundet.“

Deshalb hatte er sie fallen lassen? Aus Angst vor seiner Frau? Der Kanzler konnte ihm schließlich egal sein.

„Für deine ach so unglückliche Ehe tust du wohl alles“, fauchte Jutta ins Telefon. Als er nicht gleich antwortete, beendete sie das Gespräch, atmete tief durch und ging langsam zur Terrasse zurück, wo ihre Mutter sich eben ein weiteres Stück Mohnkuchen auf den Teller legte.