Nicolette lauschte der Beethoven-Sinfonie und betrachtete ihre Fingernägel, ehe sie sagte: „Wir könnten heiraten.“
Lukas Rieder warf ihr einen erstaunten Blick zu: „Nicht einer deiner besten Witze.“
„Kein Witz. Es würde uns beide aus einer misslichen Lage befreien. Eine Win-win-Situation sozusagen.“
„Ich wusste gar nicht, dass ich mich in einer misslichen Lage befinde.“
„Als du letztens – gemeinsam mit den Brühls – bei diesem Verlegerehepaar …“
„Den Altmanns.“
„Ja, genau, als du bei denen eingeladen warst, hast du mir danach erzählt, du seist dir vorgekommen wie das fünfte Rad am Wagen. Gestern Abend hast du mir dann noch gestanden, seit die Sache mit Lore so abrupt zu Ende gegangen ist, kämst du dir vor wie ein ausrangiertes Möbelstück.“
„Gestern habe ich zu viel Rotwein getrunken.“
„In vino veritas. Außerdem hast du gesagt …“
Lukas winkte ab. „Ich weiß, was ich gefaselt habe. So viel Rotwein war’s auch wieder nicht.“
Sie nickte und fuhr unbeeindruckt fort: „Du hast gesagt, auf der Uni bezeichnet man dich als verschrobenes Fossil aus längst vergangenen Zeiten.“
„Und du meinst, ein verheiratetes Fossil wäre besser?“
„Du würdest allen beweisen, dass deine Verschrobenheit so schlimm nicht sein kann, wenn ich dich heirate. Mich hat man in der Presse immerhin als sympathische Wissenschaftlerin mit einer optimistischen Grundstimmung beschrieben.“
Lukas brummte Unverständliches, ehe er nach einiger Zeit fragte: „Inwiefern würde es deine Lage verbessern?“
„Du weißt doch, wie mein Ex-Mann mir seit unserer Scheidung zusetzt, privat und beruflich. Ich gehe davon aus, dass er im Falle meiner neuerlichen Heirat einsehen würde, dass es keinen Sinn macht, mich weiterhin abwechselnd mit Beleidigungen und Liebesschwüren zu belästigen.“
„Vielleicht liebt er dich wirklich?“
„Unsinn. Er weiß gar nicht, wie das ist, jemand anderen als sich selbst zu lieben. Ein Narzisst eben.“
„Jeder liebt anders.“
„Ich war zehn Jahre mit ihm verheiratet, glaub mir, ich weiß, wie er tickt. Läge ihm tatsächlich etwas an mir, hätte er sich in all den Jahren – vor allem aber bei unserer Scheidung – anders verhalten. Außerdem würde er jetzt nicht versuchen, meine Arbeit zu torpedieren und schlechtzureden.“
„Das mag ja sein. Doch genau deshalb würde ich – nach all diesen Erfahrungen – an deiner Stelle die Ehe meiden.“
„Nicht die Institution Ehe war schuld am Scheitern unserer Beziehung, Norbert war einfach der falsche Mann.“
„Wie kommst du auf die Idee, dass ich der Richtige sein könnte?“
„Wir beide würden nicht aus blinder Verliebtheit heiraten, sondern aus wohlüberlegten Gründen.“
Eine Weile blieb es still, dann lachte Lukas laut auf und fügte erklärend hinzu: „Ich stelle mir gerade vor, wie so eine Hochzeitsanzeige bei Freunden und Bekannten ankommen würde. Die würden sich alle mächtig wundern!“
„Schon möglich. Einige würden sich fragen, ob wir einen besonderen Grund haben. Vielleicht würden sie auch vermuten, dass einer von uns einen besonderen Vorteil daraus zieht.“
„Stimmt. Du bist ja zu allem Überfluss auch noch finanziell eine gute Partie.“
„Mein Vater hat Vermögen, nicht ich. Aber gut, wir könnten einen Ehevertrag schließen. Wenn dir dann jemand blöde Fragen stellt …“
„Falls es jemand wagen sollte, mir derartige Fragen zu stellen, wovon ich nicht ausgehe, würde ich ihm schon sagen, wo der Bartl den Most holt. Das kannst du mir glauben.“
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich glaub dir’s ja.“
„Eine Vernunftehe also“, brummte er nach einiger Zeit.
„So könnte man es nennen. Sollte es nicht wie gewünscht klappen, könnten wir uns immer noch scheiden lassen.“
„Herrliche Aussichten.“
„Möglich allerdings, dass man auch das nicht gutheißen würde“, setzte sie mit schelmischem Lächeln hinzu.
„Und wenn schon, würde es uns scheren?“
„Vermutlich nicht. Außerdem gehe ich nicht davon aus, dass es dazu kommen würde. Wieso warst du noch nie verheiratet?“
„Einmal war es fast so weit.“
„Möchtest du mir davon erzählen?“
„Nicht heute. Es ist ein so angenehmer Tag. Vielleicht ein anderes Mal.“
Sie nickte ihm zustimmend zu und legte ihre Hand auf die seine. Für heute hatte sie genug gesagt. Nun tat es ihr gut, hier neben ihm zu sitzen, der Musik zu lauschen und den Sonntagnachmittag in aller Ruhe ausklingen zu lassen.
Morgen war ohnehin ein schwieriger Tag, zu Mittag stand ein Gespräch mit Ex-Mann Norbert und dem Dekan auf dem Terminplan. Da hieß es, diplomatisch zu sein und für ihre Arbeit zu kämpfen. Doch im Moment genoss sie die wohlige Entspannung und das Gefühl der Geborgenheit. Es fühlte sich einfach gut an, hier mit Lukas zu sitzen.
Nach einiger Zeit fragte er: „Hast du eigentlich das Buch gelesen, das ich dir vor Weihnachten mitgebracht habe?“
„Leider noch nicht.“
„Interessierst du dich denn gar nicht für Literatur? Ich meine, abseits von deiner etwas eigenartigen Lyrik.“
„Meine etwas eigenartige Lyrik, wie du sie nennst, entsteht meist in Phasen, in denen es mir nicht besonders gut geht. Ich schreibe sozusagen als Therapie, niemand muss es lesen.“
„Dennoch hast du einen Gedichtband daraus gemacht.“
„Das war Teil der Therapie. Jetzt geht es mir besser, da lese ich lieber, bezweifle allerdings, dass meine Auswahl Gnade vor deinen Augen findet.“
Lukas schnaubte. „Ich rede von Klassikern und ernsthafter Literatur, nicht von Groschenromanen à la Jutta.“
„Ich mag Juttas Romane. Ist das jetzt ein Ehehindernis?“
„Blödsinn.“
„Dann ist’s ja gut“, erwiderte sie mit einem Zwinkern und fuhr fort: „Außerdem gehe ich davon aus, dass mein Interesse für ernsthafte Literatur immer noch ein wenig größer ist als dein Interesse für Bakterien und Viren.“
„Gut beobachtet.“
„So hat eben jeder sein Fachgebiet.“
Bevor Lukas sich auf den Heimweg machte, fragte er: „Um auf deinen unerwarteten Antrag zurückzukommen, bis wann muss ich mich entscheiden?“
Sie lächelte. „Einen Antrag würde ich es nicht nennen. Denk einfach in Ruhe über meinen Vorschlag nach, wir müssen nichts überstürzen.“
