- Jutta – Auf zu neuen Taten
Jutta sah sich zufrieden im neuen Literaturcafé um. Sie hatten Biancas Einrichtung belassen und an den Wänden einige Kunstdrucke angebracht. Dazu noch die Weihnachtsdekoration in Beige und Gold – es sah einfach großartig aus. Günthers Sohn Sebastian, als angehender Architekt, hatte die Bauleitung übernommen und wirklich gute Arbeit geleistet, noch dazu in wahrhaft kurzer Umbauzeit.
Bis zum Herbstfest war es sich dennoch nicht ausgegangen, dafür gab es heute, am Freitag vor dem ersten Adventwochenende, eine Eröffnungsparty.
So konnten Literaturcafé, Lesesaal und Selfpublishing-Shop rechtzeitig vor Beginn des Weihnachtsgeschäftes ihre Pforten öffnen.
Dabei wäre das Projekt zuletzt beinahe an Günthers Sturheit gescheitert, weil er partout nicht akzeptieren wollte, dass Jutta die Umbaukosten vorstreckte. Doch dann hatte sein Vater vorgeschlagen, sie zur Teilhaberin zu machen. So konnte der Umbau endlich starten und nun war Jutta stolze Miteigentümerin von Brühls Bücher.
Alles lief perfekt, nur im Moment flatterten ihre Magennerven, denn sie würde in wenigen Minuten den Lesesaal mit einer Lesung aus ihrem neuen Roman Liebe, Macht und rote Rosen einweihen – und das vor einem durchaus hochkarätigen Publikum. Neben Freunden und Familie waren auch die Programmchefin des Fernsehsenders, in dem Günther immer noch Bücher präsentieren durfte, das Verleger-Ehepaar Altmann und Günthers Freund, der stets polarisierende Literaturkritiker Lukas Rieder, erschienen.
Altmann hatte übrigens die Printrechte von Juttas neuem Buch bekommen, das E-Book hatte sie als Selfpublisherin herausgebracht. E-Books waren für ihn ohnehin nur unnützes Beiwerk, wie er meinte.
So hatte jeder, was er wollte. Jutta kümmerte sich um den Vertrieb ihrer E-Books, und Günther konnte ruhigen Gewissens behaupten, eine Verlagsautorin zu heiraten. Auch wenn er es ihr gegenüber bestreiten würde, im Grunde seines Herzens war für ihn ein Autor erst dann ein Autor, wenn dessen Werk bei einem Verlag erschienen war.
Von Bianca und Giovanni war eine Kiste Prosecco aus eigener Provenienz gekommen, verbunden mit den besten Wünschen zur Geschäftserweiterung. Bianca hatte noch einen neuen Auraspray dazugetan. Sie hatte ihn erst vor Kurzem kreiert, ließ sie in einem kurzen Schreiben wissen, und er hieße Lebensfreude.
Da er herrlich duftete, konnte man davon ausgehen, dass Bianca ihre Übersiedelung in die Toskana noch nicht bereute und es ihr mit ihrem Giovanni gut ging.
Jutta verwendete den Spray seit einigen Tagen als Raumspray. Was genau es mit diesen Aurasprays auf sich hatte, war ihr immer noch ein Rätsel, aber wenn sie so um sich blickte, tat er zumindest heute seinen Dienst.
„Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen“, hörte sie Günther durchs Mikrofon sagen.
Die neue Anlage war Sebastians Idee gewesen. Günther hatte sich erst dagegen ausgesprochen, dann noch ein wenig geziert, am Ende aber zugestimmt.
Jutta ging nach vorne und stellte sich neben ihn. Er warf ihr einen liebevollen Blick zu, der ein warmes Gefühl in ihr aufsteigen ließ.
Sobald einigermaßen Ruhe eingekehrt war, fuhr er fort: „Ich freue mich, Ihnen heute Frau Magister Jutta Hirschmann vorstellen zu dürfen. Einigen von Ihnen ist sie als Politikerin bekannt, anderen als Autorin. Weniger bekannt dürfte sein, dass sie seit Kurzem Miteigentümerin von Brühls Bücher ist, und nur Eingeweihte wissen, dass sie in Kürze meine Frau sein wird. Freuen Sie sich mit mir auf eine Kostprobe aus ihrem neuen Buch: Liebe, Macht und rote Rosen.“
Während Jutta hinter dem Lesetisch Platz nahm, sah sie einen späten Gast kommen. Bürgermeister Albert Stein.
Was wollte denn der hier? Sie warf Günther, der noch damit beschäftigt war, das Mikrofon für sie zu positionieren, einen fragenden Blick zu und flüsterte: „Hast du den eingeladen?“
„Sicher nicht. Was machen wir mit ihm?“, murmelte er.
„Was sollen wir schon machen. Rausschmeißen können wir ihn nicht, wenn ich auch gute Lust dazu hätte, also biete ihm halt einen Drink an“, flüsterte sie zurück, dann wandte sie sich ihrem Publikum zu.
*
Jutta war froh, dass sie nach der Lesung Bücher signieren durfte, so konnte sie das Zusammentreffen mit Albert Stein noch ein wenig hinauszögern. Allerdings war der Aufschub nur von kurzer Dauer, natürlich hatte auch er ein Buch gekauft, das er nun signieren ließ.
„Was darf ich schreiben?“, fragte sie in geschäftsmäßigem Ton.
„Für meinen lieben Freund Albert, deine Jutta, vielleicht?“
„Wollen wir nicht übertreiben“, antwortete Jutta und schrieb: Für Albert – viel Spaß beim Lesen – Jutta
Er nahm das Buch immer noch lächelnd entgegen, blieb aber stehen.
„Was hat dich zu uns geführt?“, fragte sie. „Hattest du gar keine Angst, dass ich auch aus meinem ersten Buch ein paar Zeilen lesen könnte?“
Er lächelte siegessicher. „Nicht die geringste. Außerdem weiß kaum jemand, dass du mich damit ärgern wolltest.“
„Ärgern scheint mir nicht das richtige Wort.“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wie auch immer, ist lange her und ich bin bekanntlich nicht nachtragend. Sag mal, der Herr im karierten Sakko neben der hübschen Brünetten, ist das nicht dein Ex-Mann?“
„Ja, das ist Walter. Du solltest ihn kennen, er arbeitet in leitender Position in deinem Rathaus.“
„Ich weiß, er ist Leiter der Rechtsabteilung. Ich war nur einen Moment unsicher. Schließlich habe ich ihn hier nicht vermutet.“
„Warum nicht? Walter und ich sind gute Freunde. Die hübsche Brünette ist übrigens Walters Frau Nora, also lass die Finger von ihr.“
„Was denkst du nur von mir? Schließlich bin auch ich immer noch verheiratet.“
„Tatsächlich? Gratuliere, aber das hat dich bisher noch nie gestört. Jetzt musst du mich leider entschuldigen, ich muss mich um die Gäste kümmern.“
„Aber natürlich, mach dir meinetwegen keine Umstände, ich komme schon zurecht.“ Er zwinkerte ihr zu und schlenderte davon.
Der hatte vielleicht Nerven. Sie dachte schon lange nicht mehr daran, seinetwegen auch nur irgendwelche Umstände zu machen. Schon gar nicht an einem Tag wie heute.