Leseprobe-Waldstettener G’schichten: Weihnachten beginnt im September Band 3

  1. Gloria – Erste Vorbereitungen

Vielleicht hätte ich die Sache doch erst mit Liesl besprechen sollen, überlegte Gloria. Gut gelaunt stieg sie in ihren alten Mercedes und machte sich auf den Weg zur ersten Kirchenchorprobe nach der Sommerpause. Oder hätte sie mit Ludwig darüber reden sollen?

Egal. Jetzt war es ohnehin zu spät. Sie würde das auch so schaffen – es ging schließlich um ihr Schloss.

Während sie weiterfuhr, verwandelten die letzten Strahlen der Abendsonne das sich langsam verfärbenden Laub in ein flammendes Inferno. Was für ein wunderbarer Anblick. Diese Phase des Herbstes mochte sie ganz besonders.

Seit sie mit Daniel nach Waldstetten gezogen war, um das Schloss ihrer Ahnen wieder auf Vordermann zu bringen, mochte sie fast alle Jahreszeiten, vielleicht mit Ausnahme des Winters, obwohl auch der seine schönen Seiten hatte, zumindest hier auf dem Land.

Für das Schloss war der Winter freilich nicht so ideal, da verirrten sich kaum Besucher nach Waldstetten. Keine Besucher bedeutete keine Einnahmen, und Einnahmen brauchte Gloria dringend, schließlich gab es Darlehen zu tilgen. Ihr Bankberater hatte ohnehin schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Einnahmen hinter den Erwartungen des Businessplanes blieben, den sie mithilfe ihrer Freundin Julia erstellt hatte. Der Herr ‚Bankdirektor‘ hatte leicht reden. Und überhaupt musste er nicht gleich so einen Aufstand machen, nur weil sie mit ein paar Raten im Rückstand war. Das fand sie echt kleinlich.

Dabei war die Sommersaison nicht schlecht gelaufen, an der Wintersaison musste sie allerdings noch arbeiten. Sie hatte auch schon einige Ideen, eine davon wollte sie den Chormitgliedern heute verklickern. Wenn sie mitspielten, wäre zumindest ein Anfang gemacht.

 

*

 

„Also gut“, fasste Marie, die Leiterin des Kirchenchors, zusammen. „Dann singen wir am Christtag die Schubert-Messe in G-Dur und beim Adventskonzert diesmal das bisherige Programm, dazu ein paar neuen Sachen. Meine Lieben, ich würde sagen, da haben wir in den nächsten Wochen einiges zu tun.“

„Die Schubert-Mess’ hamma doch eh schon zweimal g’sungen“, warf Gisela Weißmaier ein.

„Einige von euch, aber nicht alle“, antwortete Marie und klappte ihr Notenheft zu. „Trotzdem machen wir für heute Schluss, ich habe Durst.“

„Dem schließe ich mich vollinhaltlich an“, meldete sich Bürgermeister Ludwig Paffler mit seiner kräftigen Bassstimme zu Wort und seine Frau Liesl, die Gemeindeärztin, murmelte: „War klar.“

Gloria war auch ganz froh, dass die heutige Chorprobe zu Ende ging, sie hatte schon den ganzen Tag ein wenig Kopfschmerzen – vermutlich war der Föhn daran schuld. Trotzdem würde sie noch auf einen Sprung mit zum Dorfwirt gehen, schließlich musste sie die anderen mit ihrer genialen Idee bekannt machen. Außerdem würde ihr ein Glas Sekt sicher guttun und Liesl hatte vermutlich Minzöl einstecken, das sollte bei Kopfschmerzen ja Wunder wirken.

Kaum saßen sie rund um den Tisch, den der Dorfwirt ganz selbstverständlich jeden Mittwochabend für den Chor reserviert hielt, sagte Gloria: „Ich hätte da eine Idee …“

„Halt, erst das Bier!“, unterbrach Ludwig und bestellte ein Krügerl. Nachdem auch alle anderen ihre Bestellungen aufgegeben hatten und Gloria mit Minzöl versorgt worden war, begann sie erneut: „Also, wie gesagt, ich hätte da eine Idee wegen unseres Adventsingens. Was haltet ihr davon, wenn wir es diesmal im Schloss machen?“

„Wiaso?“, fragte der Weißmaier.

„Wiaso net?“, antwortete Gloria im besten Dialekt und mit einem koketten Zwinkern.

„Des wor doch immer in da Kirchen“, konterte der Weißmaier, der sich mit Änderungen bekanntlich schwertat.

Gloria hatte mit Widerstand gerechnet. „Ich weiß, aber man kann doch auch einmal etwas anderes ausprobieren.“

„Was wär’ jetzt im Schloss gar so anders?“, fragte Ludwig.

„Also, ich dachte, wir könnten ein richtiges Event daraus machen. Erst Punsch und Maroni im Schlosshof, dann das Konzert, dazwischen lesen wir ein paar Texte und danach gibt es ein gemütliches Beisammensein bei einem Glas Wein und Waldviertler Schmankerln.“

„Ist das jetzt eine Einladung der neuen Schlossherrin?“, fragte Marie mit einem ironischen Lächeln.

Mit dieser Frage hatte Gloria ebenfalls gerechnet, schließlich lebte sie bereits drei Jahre in Waldstetten und hatte schon ihre Erfahrungen gemacht.

„Punsch, Maroni und Konzertbesuch wären gratis, für Speisen und Getränke nach dem Konzert müsste aber schon bezahlt werden.“

„Du vermarktest dein Schloss nicht schlecht“, meinte Fanny, die Frau vom Wallner-Bauer. Das hatte zwar nicht nach Begeisterung geklungen, doch Gloria beschloss, es als Kompliment zu nehmen, und lächelte in die Runde.

„Ganz blöd ist die Idee nicht, in unseren Kirchenbänken sitzt man eh net sehr bequem“, meinte Ludwig bedächtig.

Das war schon einmal gut, wenn Ludwig dafür war, konnte man damit rechnen, dass einige sich seiner Meinung anschlossen.

„Also, ich finde auch, das wär’ einen Versuch wert“, sagte Sieglinde und nickte Gloria freundlich zu.

Sieglinde hatte vor wenigen Wochen ihren langjährigen Lebensgefährten Erich Wallner geheiratet. Die Hochzeitsfeier hatte im Schloss stattgefunden. Allerdings gehörte Sieglinde wie Gloria zu den „Zuag’rasten“, weswegen ihr Wort den Waldstettenern nicht gar so viel galt, und vielleicht war sie auch nur dafür, weil ihre Schwägerin, die Fanny, dagegen war. Egal, Gloria verbuchte ihre Wortmeldung auf der Habenseite. Sie hatte neulich einen Onlinekurs „Einführung in die Buchhaltung“ gemacht und kannte sich aus.

„Wir müssten deinen Saal natürlich erst auf seine akustische Tauglichkeit hin prüfen“, warf Marie ein. Alte Wichtigtuerin, dachte Gloria, aber gut, es klang zumindest nicht nach genereller Ablehnung. Jetzt hieß es taktieren. Nur nicht zeigen, wie wichtig ihr die Sache war. Also nickte sie ihr freundlich zu und sagte: „Ja, klar“.

Da es keine weiteren Wortmeldungen gab, fügte sie mit mehr Gleichmut als sie empfand hinzu: „Überlegt es euch halt“, und trank den letzten Schluck aus ihrem Sektglas. „Ich muss jetzt leider gehen, aber wir sehen uns ja spätestens nächsten Mittwoch bei der Probe.“

„Wann könnten wir uns den Saal denn anschauen?“, rief Marie ihr noch nach.

Gloria machte auf dem Absatz kehrt. Marie war ein kommunikativer Mensch. Sie hatte die Musikschule in Stettenkirchen geleitet und war seit Herbst in Pension. Gloria vermutete, dass sie über etwas Abwechslung ganz froh sein würde. Deshalb antwortete sie honigsüß: „Wann immer du Zeit und Lust hast. Ruf mich einfach an. Ich freue mich jetzt schon auf einen Plausch.“ Dann winkte sie allen noch einmal zu und machte sich beschwingt auf den Heimweg. Vielleicht wurde eines Tages doch noch eine tüchtige Geschäftsfrau aus ihr.